„Raser“-Fall I („Ku’Damm-Raser“-Fall)
Bedingter Tötungsvorsatz bei riskanten, eigengefährdenden Verhaltensweisen im Straßenverkehr (BGH, Beschluss vom 01.03.2019 – 4 StR 399/17)
Leitsätze des Bearbeiters:
- Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung aber dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat. Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte.
- Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht. Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes.
- Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen.
- Aus der Notwendigkeit, dass der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen muss, folgt, dass sich wegen eines vorsätzlichen Delikts nur strafbar macht, wer ab Entstehen des Tatentschlusses noch eine Handlung vornimmt, die in der vorgestellten oder für möglich gehaltenen Weise den tatbestandlichen Erfolg – bei Tötungsdelikten den Todeserfolg – herbeiführt.
- Bezugspunkt des Tatentschlusses bzw. des Tatplans ist gemäß § 25 Abs. 2 StGB jedoch stets die Straftat. Ein mittäterschaftlich begangenes Tötungsdelikt setzt daher voraus, dass der gemeinsame Tatentschluss auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichtet ist. Für die Annahme eines mittäterschaftlich begangenen Tötungsdelikts reicht es deshalb nicht aus, dass sich die Täter lediglich zu einem gemeinsamen Unternehmen entschließen, durch das ein Mensch zu Tode kommt.
(BGH, Beschluss vom 01.03.2019 – 4 StR 399/17)
Anmerkung des Bearbeiters:
Entgegen der teilweise missverständlichen Mitteilung in der Presse und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat der Bundesgerichtshof mit dieser Entscheidung gerade nicht zum Ausdruck gebracht, dass in Fällen der bewussten Missachtung von Verkehrsregeln (hier im Falle eines illegalen Autorennens), die gewiss – insbesondere in Bezug auf Vorfahrtsregeln – immer mit einer erheblichen Eigengefährdung des Täters verbunden einhergehen, die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes (sog. dolus eventualis) ausgeschlossen ist. Es verhält geradezu gegenteilig: Die vorliegende Entscheidung stellt klar, dass bei Kenntnis von der Möglichkeit eines tödlichen Verkehrsunfalles die Annahme eines Tötungsvorsatzes gerechtfertigt sein kann, wenn eine Gesamtbetrachtung aller objektiven Tatumstände ergibt, dass der Täter gleichwohl handelt und die von ihm erkannte mögliche Todesfolge seines Handelns ggf. auch um den Preis des eigenen Lebens billigt.
Der Bundesgerichtshof hatte das seinerzeitige Urteil des Landgerichts Berlin (Urt. v. 27.01.2017 – (535 Ks) 251 Js 52/16 (8/16)) zwar auch aufgehoben, weil die Feststellungen zu den objektiven Tatumständen und deren Bewertung durch das Landgericht nicht ausreichend gewesen waren um die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes bei zeitgleicher erheblicher Eigengefährdung des Täters zu rechtfertigen. Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes in Fällen, in denen eine erhebliche Gefährdung des Lebens des Täters vorliegt, gerade nicht ausgeschlossen. Er hat indes vielmehr die hierfür notwendigen Feststellungen durch das Tatgericht präzisiert und das Urteil des Landgerichts insbesondere auch deshalb aufgehoben, weil die Feststellung des bedingten Tötungsvorsatzes durch das Landgericht auf den Zeitpunkt des Einfahrens in den Kreuzungsbereich und damit auf einen Zeitpunkt, in dem der Täter keinerlei Möglichkeit mehr gehabt hatte den Zusammenstoß zu verhindern, bezogen waren. Ein zu diesem Zeitpunkt gefasster Vorsatz hätte sich allerdings als unbeachtlicher sog. dolus subsequens dargestellt. Ein solcher ist allerdings nicht geeignet die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu rechtfertigen, da nach § 16 Abs. 1 StGB in subjektiver Hinsicht erforderlich ist, dass der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bei ihrer Begehung, also im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung kennt (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1985 – 3 StR 300/85, StV 1986, 59; Beschluss vom 7. September 2017 – 2 StR 18/17, NStZ 2018, 27; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 15 Rn. 3; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 212 Rn. 5).
Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof hierzu wörtlich ausgeführt:
„Aus der Notwendigkeit, dass der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen muss, folgt, dass sich wegen eines vorsätzlichen Delikts nur strafbar macht, wer ab Entstehen des Tatentschlusses noch eine Handlung vornimmt, die in der vorgestellten oder für möglich gehaltenen Weise den tatbestandlichen Erfolg – bei Tötungsdelikten den Todeserfolg – herbeiführt. Dass dies auf die Tat der Angeklagten zutrifft, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Im Gegenteil:
Das Landgericht hat einen bedingten Tötungsvorsatz erst – wie sich aus der Wendung „Spätestens jetzt (…)“ auf UA 25 ergibt – für den Zeitpunkt festgestellt, als die Angeklagten bei Rotlicht zeigender Ampel in den Bereich der Kreuzung Tauentzienstraße/Nürnberger Straße einfuhren. Aus dieser Feststellung, die auch an anderer Stelle des Urteils keine Modifizierung findet, vielmehr mehrfach bestätigt wird (etwa auf UA 60), folgt zugleich, dass sich das Landgericht nicht die Überzeugung verschafft hat, dass die Angeklagten den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers als Folge ihrer Fahrweise schon vor dem Einfahren in den Kreuzungsbereich als möglich erkannten und billigend in Kauf nahmen. Hatten die Angeklagten indes den Tötungsvorsatz erst beim Einfahren in den Kreuzungsbereich gefasst, könnte ihre Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts nach den dargestellten Grundsätzen nur dann Bestand haben, wenn sie nach diesem Zeitpunkt noch eine Handlung vornahmen, die für den tödlichen Unfall ursächlich war, oder eine gebotene Handlung unterließen, bei deren Vornahme der Unfall vermieden worden wäre.“
(BGH, Urteil vom 1. März 2018 – 4 StR 399/17 )
Beachte: Raser-Fall II
Veit Strittmatter
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